Kaum ein Säugetier wächst so langsam wie der Mensch. Dabei wäre das doch biologisch ohne Weiteres möglich. Eine Kuh ist mit ungefähr fünf Jahren schon ausgewachsen und dann wiegt sie auch schon ihre 500 Kilogramm. Ein Gewicht, das nur die wenigsten Menschen im Verlauf ihres Lebens erreichen. Geschlechtsreif ist das Rind schon nach ungefähr acht Monaten. Der Mensch benötigt 17 bis 19 Jahre, bis er komplett ausgewachsen ist. Welchen Wettbewerbsvorteil hat die Evolution sich da für den Menschen ausgedacht?
Vergleicht man den Menschen mit anderen Primaten, dann stellen wir eine recht ungewöhnliche Wachstumskurve fest. Zwischen dem Abstillen des Babys und dem Einsetzen der Pubertät wachsen menschliche Mädchen und Jungs vergleichsweise langsam. Und dann kommt ein großer Wachstumsschub und wir erkennen den jungen Menschen kaum wieder. Der menschliche Nachwuchs bleibt damit sehr lange von den Eltern abhängig. Michael Gurven von der Universität von Kalifornien hat in seiner Studie Proceedings of the Royal Society: Biological Sciences unterschiedlichste Wachstumsmodelle durchgespielt und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Kind, das die ersten zwölf Jahre des Lebens vergleichsweise klein bleibt, weniger Nahrungsenergie benötigt als bei einem linearen Wachstum. Diese Zeit steht dem Menschen dann zur Verfügung, das Gehirn auszubilden und soziale Fertigkeiten zu erlernen. Beides Fähigkeiten, die beim Menschen eine größere Rolle spielen als bei anderen Primaten. Die menschliche Wachstumskurve ist insofern als ein Energiesparprogramm zu verstehen, das sich im Verlauf der Evolution zu Gunsten des Menschen ausgebildet hat. Auch auf der Jagd war es für den frühen Menschen kein Vorteil, wenn er sehr früh sehr groß gewachsen ist. Viel wichtiger war eine längere Zeit zum Lernen und ein großes Gehirn. In Hungerperioden wächst der Mensch übrigens noch langsamer. Der Wachstumsschub in der Pubertät kann dann noch heftiger ausfallen.
Im 19. Jahrhundert lag die durchschnittliche Körpergröße eines Mannes bei 167 Zentimetern. Eine Frau wurde im Durchschnitt 155 Zentimeter groß. Der Mensch von heute wird in der Regel ungefähr zehn Zentimeter größer. Eine Vielzahl von Faktoren werden hierfür verantwortlich gemacht. Wir haben heute in Westeuropa ein vielfältiges Angebot an Nahrung in Überfluss verfügbar. Und der junge Mensch muss weniger körperlich arbeiten als zu früheren Zeiten. Diese Kalorien kann der Nachwuchs jetzt für das Körperwachstum einsetzen. Es wird auch ein Zusammenhang zwischen der verbesserten Hygiene und dem Körperwachstum vermutet. Vielleicht spielt auch die Industrialisierung unserer Nahrung eine Rolle. Führt die Hormonbelastung von Tierfleisch und unseres Trinkwassers dazu, dass unsere Kinder immer größer werden?
Das Wachstum verläuft bei Kindern in drei Phasen. In den ersten drei Lebensjahren verdoppelt sich die Körpergröße des Babys. Dann setzt bis zur Pubertät eine Verlangsamung des Wachstums ein. Und im Verlauf der Pubertät kann ein Jugendlicher bis zu zehn Zentimeter pro Jahr wachsen. Wachstumstabellen bilden die durchschnittliche Körpergröße von Kindern ab. Es soll aber kein Anlass zur Sorge sein, wenn das eigene Kind nicht diesem Mittelmaß entspricht. Kinder sind Individuen und so kann auch das Wachstum des Kindes ganz individuell verlaufen. Im Alter von vier Jahren ist ein Junge im Durschnitt 100 Zentimeter groß, die Mädchen sind hier schon fast fünf Zentimeter größer. Ein zehnjähriger Junge erreicht eine Körpergröße von ungefähr 140 Zentimetern, die Mädchen erreichen hier schon fast die Marke von 150 Zentimetern. In der Pubertät überholen die Jungs die Mädchen. Ein 14-jähriger Junge ist durchschnittlich 170 Zentimeter groß, das Mädchen im selben Alter nur 165 Zentimeter.